Müde nach der Landreise saßen wir auf unserem Schiff, lauschten dem Tönen der Südseenacht, Geruch nach Rauch und offenem Feuer, sahen Mount Yasur, der sich am klaren Sternenhimmel abzeichnete. Alles wie vor hundert Jahren. WIR HATTEN ZEIT. ZEIT. ZEIT. ZEIT. Und ich fragte mich damals, wann ich wirklich zuletzt dieses Zeithaben genossen hatte. Als Kind im Garten beim Spielen, die Freude auf die lange Zeit der Ferien, die Stille eines Olivenhains in Griechenland, die Einkehr vor einem Steinmarterl in der Steiermark. Wo war in all den letzen Jahren die Zeit geblieben? Wann es Zeit war weiterzusegeln, bestimmten wir und der Wind. Niemand sonst regierte bei uns an Bord. Natürlich gab es Schulzeit für Finn, Essenzeit für alle, Angelzeit für den Kapitän, Nachtwachen zeit bei den Überfahrten, Schmusezeit immer, Zeit mit Freunden immer, Zeit zum Lachen immer. Wir hatten Zeit. Ließen sie sanft verstreichen – manchmal wehmütig, als wir uns von Valo und Gaston auf dem Südseeatoll Tuao unter Tränen verabschiedeten und Finn, unser Sohn, das erste Mal in seinem jungen Leben aus einem Paradies vertrieben wurde. Manchmal waren wir erfreut, dass sie vorbei war, die Zeit – nach den sieben Tagen Sturm auf dem Weg Richtung Neuseeland. Und dort würde sie dann wieder unvergesslich sein – unsere Zeit in Neuseeland, von der wir heute noch sehnsüchtig sprechen und uns fragen, ob wir sie nicht hätten verlängern sollen, die Zeit dort – auf ein paar Jahre oder für immer. Wie jetzt – hier zurück im westlichen Leben, wo Business, Erfolg, gute Noten, Bankkonto regieren – so rannte die Zeit auf unserer Reise nie. Wie hier die Stunden, Tage, Wochen, Monate dahinrasen – das gab es da draußen auf dem Meer, auf dem Schiff, auf den Inseln nicht. Da war der Tag vom ersten Sonnenstrahl bis zum letzten Sternenfunkel ausgefüllt mit Entdecken, Bewundern, Genießen, Innehalten, Nachdenken, Explodieren vor Freude, Zittern vor Aufregungen, und doch auch manchmal Herzklopfen vor Angst. Und Nähe. Zueinander. Und da wussten wir, der wahre Luxus dieser Welt liegt für uns in der Zeit. Die Zeit, die man für sich und seine Lieben hat. Denn das ist, was bleibt. Das ist, was für immer glücklich macht. Und jetzt im Sog der Stadt, im Lärm dieser Welt, laufen wir ihr nach, der Zeit. Und sie läuft davon. Und lässt sich nicht kaufen. Und nicht einfangen und nicht bestimmen. Wir kämpfen mit ihr und mit uns. Und sie vergeht, ob wir mitmachen oder nicht. Und wir träumen von dieser anderen Zeit da draußen. Dort auf den Weltmeeren und auf den glücklichen Inseln. Eine Abenteurerin, ein Musiker und ein Weltenkind. Einfach nur sein – wie hier auf Coco Bandero, Panama. FOTO: SHUTTERSTOCK „ Der wahre Luxus dieser Welt liegt für uns in der Zeit.“ 8 OCEAN WOMAN 2022
Oh mein Gott! AUSGABE 1/2019 Segler beten. Immer schon. Und Seegötter und -göttinen gibt es zum Glück genug. Es ist schon wieder November. Allerheiligen. Trotz Sturmwarnung fürs lange Wochenende kurven wir durch das verwaschene Kanaltal, brausen vorbei am pitschnassen Udine, zweigen ab Richtung Lagune von Marano und bahnen unseren Weg durch Pfützen, entlang den überschwemmten Prosecco-Wein gär ten. Sehen den bis an die Kante angeschwollen Fluss Stella und schicken ein Stoßgebet gen Himmel: „Bitte lass am Schiff alles dicht sein!“ Segler beten. Immer schon. Und Seegötter und -göttinen gibt es zum Glück genug. Die Ägypter in ihren flotten Papyrus-Kähnen hoffen an den Küsten des Mittelmeers oder den Untiefen des Nils auf den Beistand von Nun. Hätte ich früher von Nun gewusst, wäre vielleicht das Anstampfen gegen den pfeifenden Nordwind des Roten Meeres ausgeblieben! Schon die reiselustigen Phönizier wussten um des Unterschieds zwischen Landratten und Seeleuten. Gott Yamm war für das Chaos verantwortlich – die Kreuzwelle, der Gegenwind, Wasser im Cockpit, nasse Socken –, Gott Baal für das angenehme bis langweilige Marinabzw. Hafenleben. Poseidon als Herrscher des Meeres – bei den Römern Neptun genannt – flirtete liebend gerne mit hübschen Göttinnen und überließ Aeolus die Windprognosen. Orion durfte während der Nachtfahrten den Himmel beleuchten. Triton – halb Mensch, halb Delfin – zog verblasene Seefahrer von Land wieder ins Meer. Aber den besten Job bei den Griechen machen wieder einmal die Frauen. Amphitrie beruhigt aufgewühlte Seen. Ich fragte mich, wo sie war, als wir nach der Durchquerung des Sueskanal (siehe auch ab Seite 30) Kreta nicht anlaufen konnten, da uns die Ägais mit stürmischem Meltemi in Empfang nahm. Tangaroa hingegen – der Meeresgott der Maori – sorgte für eine sichere Neuseeland-Überfahrt. Die Inseln Tongas hat Tangaroa mit einem Anker am Meeresboden befestigt, wofür ihm alle Segler dankbar sind, die dort auf das berühmt berüchtigte Wetterfenster warten! Die Wikinger verehrten Thor, der sicher Segler war, weil bekannt für seine Schnurren und seinen Hang zum Manöverschluck. Njord, der Gott der nördlichen Seen und Winde, steht ihm zu Seite und als Schiffsname macht er sich auch gut. Entspannt und ohne Piratenzwischenfälle querten wir mit unseren dänischen Freunden von der Njord im Konvoi den Indischen Ozean. GÖTTINNEN GERN GESEHEN Noch bin ich nicht im stürmischen Irland gesegelt, aber Ran, Meeresgöttin der nordeuropä i schen Völker, wirkt nicht sehr vertrauenerweckend auf mich. Halb wunderschöne Frau, halb Fisch, hält sie munter bei Vollzeug das Steuerrad mit nur einer Hand, die andere zieht ein Netz nach, mit dem sie die Ertrunkenen einsammelt. Angeblich soll ihr Reich in den Korallenhöhlen des Meeresbodens recht einladend sein, damit man sich wenigstens auf irgendetwas freuen kann, wenn man dort über Bord geht. Ran gleicht dem Ozean, mal fein und sanft, dann aufbrausend und wild. Etwas entspannter ist Kurakulla, Göttin der Seefahrer und des Weins. Der indische Subkontinent ist ihr Revier und ihre untergebenen Seefrauen kümmern sich hingebungsvoll um Schiffsbrüchige. Überhaupt sind weibliche Seegöttinnen zahlreich, was verwundert, wurden doch Frauen früher auf Schiffen nicht besonders gerne gesehen. Aber offensichtlich, wenn’s brennt … So wie Ixchel, eine Maya-Göttin, verantwortlich für die Tiden, den Mond und die Fruchtbarkeit. Oder Maria, in der christlichen Seefahrt als Stella Maris angerufen, wenn es grad gar nicht gut aussah! Uff, trotz massiver Regenmengen liegen wir in trockenen Kojen, auch die Bilgen setzen Staub an und es riecht gut im Schiff. Ich werfe einen Blick zu unserem Besanmast. Verdi, unser selbsternannter hölzerner Schiffsgott aus Afrika – seit den Kapverden an Bord – sieht wie immer griesgrämig in die Nacht. Er hat uns sicher um die Welt gebracht. Und täte es gerne wieder. Oh mein Gott – ich muss die Lottozahlen checken! QUELLE: A SAILOR‘S GUIDE TO THE GODS JOHN KRETSCHMER Poseidon/Neptung flirtet lieber, die meiste Arbeit erledigen die anderen Seegötter weiblichen Geschlechts überall auf der Welt. FOTO: SHUTTERSTOCK OCEAN WOMAN 2022 9
dem Alpträume sind, und deshalb be
Thailändisch: Ankernde Yachten und
FOTOS: WOLFGANG SLANEC Tänzerin im
Damen der Meere 64 OCEAN WOMAN 2022
Ann Davison. 1952 mit 23-Fuß-Boot
Piepser, Pogos und AUSGABE 2/2020 S
Die schönste Zeit im Ja FOTO: SHUT
Pension Schöler jazz/pop/chanson A
Laden...
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter