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OceanWoman Band 2 (2022)

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Von der Schleiferin auf Curacao über die Küchenhilfe auf den Tuamotus bis zur Skipperin bei Sturm über Neukale­donien. Nach dem großen Erfolg der OceanWoman Sonderausgabe 2018 ist 2022 der zweite Band erschienen. Diesmal mit einem Best-of 2018–2022 der Berichte unserer OceanWoman-Kolumnistin Alexandra Schöler. Mit vielen neuen und unterhaltsamen Geschichten aus der Welt der Langfahrtsegler – abenteuerlich, erheiternd und auf bewegende Weise den Horizont erweiternd.

Als wir unseren Familien

Als wir unseren Familien und Freunden klarmachten, dass der Traum von der Weltumsegelung nun Wirklichkeit würde, starrten sie uns ungläubig an. Hätten wir von der Anschaffung einer Eigentumswohnung, eines neuen Autos oder einem Umzug aufs Land gesprochen, wäre das Erstaunen bis Entsetzen weniger radikal ausgefallen. Viele glaubten uns ja bis zum tatsächliche Abfahrttermin einfach nicht. Und so segelten wir mit unserem fünfjährigen Sohn auf unserem Katamaran Risho Maru von Italien aus los, um die Welt zu sehen. Eine Schauspielerin, ein Zahntechniker und ein Kinder - gartenkind. Nach viereinhalb Jahren hatten wir die Welt umsegelt und kehrten heim. Auf den ersten Blick schienen wir für viele die Alten geblieben zu sein und so mancher wunderte sich, dass wir uns so schnell wieder einlebten. Aber war das nun wirklich so? In Wien hatte sich nichts ge - ändert. Alles beim Status quo wie vor fast fünf Jahren. Und wir? Für uns hatte sich alles geändert. Alles. Vor allem die Zeit. ES BEGANN MIT EINEM TRAUM Dem Traum meines Mannes, mit seinem Schiff die Welt zu umrunden. Dem Traum, dem Abenteuer die Stirn zu bieten. Als wir uns kennenlernten, wusste ich von all dem nichts. Außer natürlich, dass Peter ein selbstgebautes Schiff in Griechenland besaß. Risho Maru – ein Wharram-Katamaran, schlicht, simpel, aus Holz, schnell. Wir verbrachten die Sommer in Griechenland, unser Sohn Finn wurde geboren, sein erstes Wort war „Fischernetz“. Die Nächte waren manchmal unheimlich. Die Bora blies, Peter brachte den zweiten Anker aus, ich fand das alles aufregend, aber nach den Ferien freute ich mich doch auf unser Heim in Wien. In unserer Toilette zu Hause häuften sich die Segelmagazine. Schiffe ankernd vor weißen Stränden in blauen Lagunen. Leute, die auf Schiffen lebten, braungebrannt, lachend. Keine Models, echte Menschen, keine Charterträume, echtes, pures Leben. Ich wusste vom Aussteigen. Hatte das selber schon gewagt mit Mitte 20 nach Amerika für zwei Jahre. Es war perfekt gewesen. Jahre später zehrte ich noch immer von dieser Zeit. Vom über den Tellerrand schauen. Aber auf einem Segelboot in die Weltmeere? Mit Kind? Ich hatte davon gelesen, von Leuten, die ihre Kinder auf Schiffen aufzogen, sie unterrichteten. Alles hinter sich ließen, verkauften, ins Ungewisse fuhren. Meine größte Sorge vor dem Wegfahren war das Wegfahren selbst, die ungewissen Gefahren dieser Reise und der Gedanke ans wieder Zurückkommen. So viele Katastrophen könnten passieren, wir untergehen, von Riesenwellen verschluckt, von Piraten geplündert – und dann die Zukunft: nach Wien heimzukommen, kein Job, kein Heim und weit über Mitte 20. Und nach einiger Zeit, mit Blick auf das Ersparte auf dem Bankkonto, stand plötzlich die Frage im Raum: Anzahlung für ein Eigentum oder Wegfahren – das Geld in uns anlegen? Wir taten Letzteres und heute wissen wir, es war das Richtige. Viele Leute dachten, wir wären von Sinnen. Und heute in Wien frage ich mich: Wer ist von Sin- 6 OCEAN WOMAN 2022

Sohn Finn lernte schon in der Südsee, dass man an Land zu Fuß geht … Das Weltumsegler-Paar Alexandra Schöler und Peter Haring mussten sich an die Hektik der Stadt Wien erst wieder gewöhnen. … weil man sich auf diesem Weg viele neue Freunde machen kann. „Wir legten das Geld in uns an und heute wissen wir, es war die richtige Entscheidung.“ nen? Hier im Stress, Verkehr, Tempo, Geldverdienen in dieser Zeit. Wir waren auf den Inseln der Südsee, wo Leute uns anlächelten – einfach so. Und uns Limetten als Willkommensgeschenk brachten – einfach so. Sich wunderten, wenn wir genaue Termine zum Papaya-Abholen im Dorf ausmachen wollten. „You can have Papayas anytime“, sagte der Polynesier Louis zu mir. Und lächelte. Oder Kindergärtnerin Sara am Strand in Vanuatu mit ihren Vorschulkindern. Die Kids sammelten Muscheln und Strandgut zum Basteln und Sara angelte. Wir fragten sie, wie es mit dem Fischererfolg aussehe. Sie meinte: „If I catch fish, I go home, if I catch no fish I go home, too.“ Überall wunderten sich die Leute über uns. Dass wir die Zeit immer fixieren wollten – etwas „ausmachen“. Die Zeit vergehe sowieso, sagten sie, egal, ob wir mitmachen oder nicht. ZEIT, WAS IST DAS SCHON? Diese Menschen gingen in ihre Gärten, holten ihr Gemüse, gingen in die Kirche, an den Strand, fischten, brieten Brotfrüchte über dem Feuer, freuten sich über ihre neuen Handys, die noch keine Sender gefunden hatten, weil das Netz der amerikanische Handyfirma noch nicht überall funktionierte. Es war ja egal. Sie hatten Zeit, die Männer in der kleinen Boulangerie, die frisches Baguette manchmal erst spät abends lieferte. Die Frauen, die Wäsche in den heißen Quellen des Vulkans wuschen. Mount Yasur auf Tanna im Inselarchipel Vanuatu spie Lava, die sich stets neun Monate Zeit ließ, um an die Erdoberfläche zu jagen. Im inseleigenen Krankenhaus saß eine schwangere Frau in der leeren, kafkaesken Klinik und knabberte Zuckerrohr. Sie hatte noch Zeit. Hier auf der Insel gingen alle zu Fuß wie bei uns zu Großmutters Zeiten. Zwei Stun- den zur Schule, eine Stunde zum Garten, bepackt mit Essen durch den abendlichen Dschungel zum Treffen mit Freunden. Immer Zeit zu lächeln, zu grüßen, zu winken, zu plaudern. Einmal warteten wir lange auf unseren Guide und Taxifahrer John – wir, die Segler, nervös, weil irgendwo mitten vor dem Immi gra tionsoffice in Lenakel, der Hauptstadt der Insel, ausgesetzt, mehrere Autostunden von unseren Schiffen und kein John weit und breit. Viel später kam er dann mit einem Paket Zucker unter dem Arm daher geschlendert. Lächelte und erzählte, er habe alte Freunde getroffen. Wir fuhren über die holprige Straße zurück in unsere Bucht – dampfender Regenwald, speiender Vulkan, im Dorf in der Kirche bei Kerzenlicht Kinder singend, davor Frauen beim Taroknollensäubern. Unsere Schiffe waren noch da. Schaukelten in der Bucht, die schon James Cook genossen, vor der Kulisse, die auch ihn fasziniert hatte. OCEAN WOMAN 2022 7

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