Dampf und Segel Juli 1890: Neukaledonien Aus den Reisebriefen von Onkel Alfred. Der Seekadett berichtet jeweils über die vergangenen Tage und Wochen auf der SMS Fasana (von September 1889 bis Dezember 1890). Die Originalschreibweise ist beibehalten, der Text beschränkt sich auf Ausschnitte. VOM SUMPF-FIEBER UND ANDEREN KRANKHEITEN Die Malaria ist zum Zeitpunkt von Onkel Alfreds Reise noch nicht erforscht (der französische Arzt Charles Laveran entdeckte den Erreger wenig später, Anm.), man spricht in Unkenntnis vom „Sumpf-Fieber“, das durch schlechte Luft aus Sümpfen verursacht würde. Mitte Juli 1890 erreicht die SMS Fasana das bis heute zu Frankreich gehörende Überseegebiet. Der Wind war sehr frisch und wir machten uns auf eine fünftägige Reise gefasst. Nur der Zufall wollte es, dass wir nach 48 Stunden in Nouméa (Hauptstadt von Neukaledonien, Anm.) waren. Die Ursache dieser Beschleunigung ist mehr unglücklicher Natur. Der Gesundheitszustand an Bord war nämlich in letzter Zeit kein glänzender, während bisher das Mannschaftsspital beinahe leer stand. Wir schifften wohl in Rio, Valparaiso und Callao Schwerkranke aus, aber diese Fälle waren, wie gesagt, auch die einzigen.*) Seit einigen Monaten jedoch hatten wir zwei Leute mit Lungentuberkulose und zwei mit einer anderen schweren Krankheit an Bord, zu welchen sich nun einer mit Sumpf-Fieber verbunden mit Gelbsucht und mehrere weitere Erkrankte gesellten. Die Temperatur des fieberkranken Matrosen stieg auf 42 °C und der Doktor gab ihn auf. Weil aber nach dem Reglement die Beerdigung eines Toten in See nach Möglichkeit vermieden werden soll, ließ der Kommandant die Maschine heizen, um schnell den Hafen zu erreichen. Wir dampften also nach Kräften und hatten auch dabei Unglück, indem einem Unteroffizier von den Exzenterscheiben der Maschine ein Finger abgerissen wurde. Um die Geschichte der Misere an Bord damit jetzt abzuschließen, erwähne ich, dass der Fieberkranke lebend nach Nouméa gebracht wurde, wo * „Ausgeschiffte“ Matrosen wurden der Obhut und Verantwortung des jeweils zuständigen österreichischen Konsulats übergeben, das beim Tod für das Begräbnis und bei Genesung für den Heimtransport des Geheilten zuständig war. 60 6/2024
er mit den zwei Lungenkranken sofort in das hiesige Spital gebracht wurde, wo es ihm schon besser gehen soll. Über die Eigentümlichkeiten des Sumpf-Fiebers kann ich nur anführen, dass die Temperatur künstlich bis auf 36 °C gebracht wurde, dann musste aber wieder ein Gegenmittel gegeben werden, welches die Körperwärme bis auf 42 °C trieb und so schwankte dies drei Tage hindurch. Der Kranke konnte kein Eis haben, da die Schwefelsäure unserer Eismaschine zu schwach geworden war. Von 8. bis 17. Juli 1890 liegt nun die SMS Fasana im Hafen von Nouméa, der Hauptstadt Neukaledoniens, vor Anker. Die Inselgruppe ist vor allem wegen der reichen Nickelvorkommen von großer Bedeutung für die Kolonialmacht Frankreich. IN DEN BERÜCHTIGTEN STRAFKOLONIEN Brief vom 16. Juli 1890: Wir vertäuten uns an einer Ankerkette, die durch einen Schwimmer zur Wasseroberfläche reichte. Den See-Usancen gemäß stellten sich sofort Offiziere der im Hafen weilenden englischen und französischen Kriegsschiffe zur Bekomplimentierung an Bord ein. Im Hafen lagen drei französische und zwei englische Kriegsschiffe vor Anker, sodass ein ziemlich reger Bootsverkehr herrschte, der durch anwesende Dampfer und die Nouméa, Zeichnung von Moynet nach einem Foto eines unbekannten Autors, veröffentlicht 1867 in Paris. REPLIKAT: MARZOLINO/SHUTTERSTOCK.COM Fasana noch verstärkt wurde. Ich fuhr gleich am ersten Tag ans Land und sah mir die Stadt an, in der die Sträflinge der französischen Strafkolonien alle Arbeiten verrichten. Gebäude mit einem oder zwei Stockwerken sieht man selten und dies mag wohl die Ursache sein, dass Nouméa keinen eigentlichen städtischen Charakter hat, trotzdem es einige ganz nette Geschäfte mit Auslagen, einen riesigen Platz, ein kleines Theater, Gasbeleuchtung und sogar Fiaker hat. Eingeborene sieht man fast keine und die Frauen unter ihnen tragen sich europäisch. Am großen Platz begann um 8 Uhr eine Musik und zwar spielte eine Kapelle, die durch lauter Sträflinge gebildet wurde. Dieselben spielten besser, als alle Kapellen, die ich seit Montevideo gehört hatte. Dies ist begreiflich, denn die Spielenden haben Zeit genug, zu üben. Es waren ungefähr 30 Männer in der einfachen Sträflingstracht, welche von einem Advokaten, der wegen Mordes zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt war, dirigiert wurden. Die mageren Gesichter der Mörder, denn hauptsächlich kommen nach Nouméa solche Verbrecher, zeigten zur Genüge, dass ihr Leben kein gutes ist. Ein geborene sah ich keine, es ist ihnen untersagt, nach 8 Uhr auf der Gasse zu weilen. Um 9 Uhr war das Konzert zu Ende. Diese letzten beiden Sätze erlauben uns einen Rückschluss auf die Brutalität, mit der die europäischen Kolonialmächte die lokale Bevölkerung unterdrückten. Im Fall von Neukaledonien, das von James Cook „entdeckt“ und benannt, aber bald darauf von Frankreich annektiert worden war, wurde nicht nur die Kultur der Einheimischen zerstört, sondern das Land auch noch mit europäischen Schwerverbrechern aller Art besiedelt. Unser Seekadett Alfred Winkler beschreibt mit Entsetzen die Zustände in der größten Strafkolonie wie folgt: Am folgenden Tag fuhr ein Teil des Stabes mit einem Boot, das die Dampfbarkasse schleppte, zum großen Zuchthaus auf einer der Inseln, welche dem Hafen vorgelagert sind. Ich fuhr eigentlich dienstlich mit, da ich die Dampfbarkasse kommandierte. Besichtigte aber auch die Strafanstalt. So interessant der Besuch auch war, so deprimierend wirkte der Anblick so viel Elends auf uns. Nach Neukaledonien werden nur Verbrecher deportiert, die wenigstens mit fünf Jahren Kerker bestraft wurden. Nach Absitzung ihrer Strafzeit müssen sie noch als polizeilich beaufsichtigte Freigelassene den Boden bebauen oder irgendein Gewerbe betreiben. Überall blickten uns hagere, bleiche Gesichter entgegen. Wir stellten viele Fragen bezüglich der Ursache der Verurteilung. Die gewöhnliche Antwort war – Mord. Unter anderem zeigte man uns auch das Spital. Da lag ein alter Verbrecher, der sich selbst die Augen ausgestochen hatte, um nicht zur Arbeit gezwungen zu werden. Da im Strafhaus auch Todesurteile vollzogen werden, ist dort ein Häuschen, welches die Guillotine enthält. Man zeigte uns diese Hinrichtungsmaschine, deren Mechanismus sehr einfach ist. Das Gestell ist ungefähr drei Meter hoch und das fallende Messer wird mit fünf Zentner Quecksilber beschwert. Die Leichen der Hingerichteten fallen in eine Truhe unter dem Gerüst, welche 50 Körper aufnehmen kann. Unser Führer, der bei solchen Akten Zeremonienmeister ist, erzählte uns einiges über die Hinrichtungen und wir verließen mit entsetzlichem Grausen den düsteren Raum. In der nächsten Ausgabe: mit den Missionaren von Papua-Neuguinea auf Krokodiljagd! CHRISTIAN WINKLER ist Fahrtensegler und Autor. Der Vortrag zu seiner Vortragsreihe „1890: Mit Dampf und Segel um die Welt – aus den Reise briefen von Onkel Alfred“ dauert rund eineinhalb Stunden und enthält neben Original - passagen auch historische Bilder, Hintergrundwissen, Grafiken, Anekdoten u. v. m., Infos: www.moresail.at 6/2024 61
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