Damp Memoiren eines Seekadetten 50 5/2023
f und Segel Wer hat nicht schon davon geträumt, auf einem alten Dachboden einen Schatz zu finden? Ein verstaubtes Bündel vergilbter Briefe war für unsere Familie ein solcher Schatz, denn darin entführte unser längst verstorbener Onkel Alfred in eine exotische, aber eigentlich doch auf eine Art seltsam vertraute Welt. Die Erzählungen und Anekdoten, die in der Familie über unseren „Fregattenkapitän“ kursierten fanden sich darin wieder – vielleicht etwas weniger spektakulär als die mündlichen Überlieferungen, die wohl im Lauf der Zeit so manche Übertreibung erfahren hatten, aber dafür authentisch. Diese Briefe zu lesen fühlte sich an, als wäre Onkel Alfred noch auf der Reise und die Geschehnisse gerade einmal so lange her, wie halt ein Brief damals unterwegs gewesen ist. Text CHRISTIAN WINKLER, MIRNO-MORE-GRÜNDER Mit der SMS (Seiner Majestät Schiff) Fasana der k. u. k. österreichisch-ungarischen Kriegsmarine dampft und segelt Onkel Alfred als frisch ausgemusterter Seekadett über Gibraltar nach Brasilien, wo gerade eine Revolution stattfindet. Weiter geht es rund um Südamerika in die Weite der Südsee. Alfred verliebt sich in die Schwester der Königin von Tahiti, besucht die berüchtigten Strafkolonien von Neukaledonien und geht in Neuguinea mit Missionaren auf Krokodiljagd. Java, Mauritius, Aden und Jeddah sind die nächsten Stationen auf dem Weg zum Suez-Kanal, und von dort geht es zurück nach Pula. All das berichtet Onkel Alfred in den Briefen an seine Eltern, die uns heute noch teilhaben lassen an der versunkenen Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Aber nicht nur die Schilderungen der besuchten Länder und Völker sind faszinierend, wir erfahren auch viel über das tägliche Leben an Bord. Obwohl die SMS Fasana als Korvette kein besonders großes Kriegsschiff ist, verfügt sie doch über eine Besatzung von 250 Mann und genügend bordeigene Einrichtungen, um viele Wochen ohne Versorgung auf See unterwegs sein zu können. Eine Dampfmaschine mit 1.600 PS („Rostfläche“: 30 m²) und Segelfläche von 2.000 m², Großküche, Fleischerei, Stallungen mit Lebendvieh, Bäckerei, Arrest, Bordspital, Kanzlei, Waffenkammer, Pfarrer und vieles mehr – das alles findet Platz auf knapp 70 Metern (!) Schiffslänge. Freilich sind wir auch mit den Schattenseiten der k. u. k. Marine- Herrlichkeit konfrontiert. Indigene Völker werden nicht selten abwertend beschrieben – die „europäische Arroganz“ ist aus heutiger Sicht unverständlich und völlig inakzeptabel. Auch die bisweilen sichtbare Überheblichkeit der Offiziere gegenüber untergebenen Matrosen, deren Bordleben eine ziemliche Schinderei war, wirkt heute befremdlich und absolut fehl am Platz. Originalzitate und -grafiken aus den gefundenen Briefen, ergänzende Kommentare, aussagekräftige Bilder sowie technische und geografische Fakten werden uns ermöglichen, die abenteuerliche Reise meines Onkels Alfred Winkler hautnah mitzuerleben. Herzlich Willkommen an Bord der SMS Fasana! CHRISTIAN WINKLER ist Fahrtensegler und Autor. Termine zu seiner neuen Vortragsreihe „1890: Mit Dampf und Segel um die Welt – Aus den Reisebriefen von Onkel Alfred“ und weitere Infos unter www.moresail.at FOTO: PRIVAT 5/2023 51
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