Das Herz aus Glas Zuerst Segen, jetzt Fluch: Glasfaserverstärkte Kunststoffe revolutionierten den Bau von Freizeitbooten, werden jetzt aber zu einem Umweltproblem. Die Krux: Sie sind zu erfolgreich und zu haltbar und vor allem: sie sind kaum wiederverwertbar. Text Wolfgang Gemünd FOTOS: SHUTTERSTOCK (3) 30 5/2019
Als es dem US-amerikanischen Erfinder Russell Games Slayter Anfang der 1930er-Jahre in Toledo (Ohio) gelang, eine Methode zur Massenproduktion von haarfeinen Glasfasern zu entwickeln, dachte noch niemand daran, daraus Bootsrümpfe zu bauen – das neue Material diente damals in erster Linie zur Isolierung von Häusern. Erst als die Ingenieure begannen, die zu Matten gewobenen Glasfasern mithilfe von Kunstharzen miteinander in Schichten zu verkleben, entdeckte man, dass daraus tolle Dinge zu formen waren. Zum Beispiel Segelboote. Der erste haltbare Daysailer aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) dürfte 1942, ebenfalls in Toledo, gewässert worden sein. Es dauerte aber noch gut zwei Jahrzehnte, bis sich GFK im industrialisierten Bootsbau durchsetzte. Der neue Werkstoff erwies sich als ideal: leicht, flexibel einsetzbar, dabei sehr robust, salzwasserfest und äußerst langlebig. Und vor allem: Viel billiger als Holz oder Stahl, den damals bevorzugten Materialien beim Bau von Freizeitbooten. Der Einsatz von GFK sorgte ab Mitte der 60er-Jahre dafür, dass sich auch die Mittelklasse Yachten leisten konnte. Die Produktion von Freizeitbooten schoss bis Ende der 70er-Jahre in nie erhoffte Höhen und blieb auch bis auf wenige Jahre, in denen die Weltwirtschaft schwächelte, dort. Der weltweit wichtigste Verband der Bootswirtschaft ICOMIA (International Council of Marine Industry Associations) schätzt, dass es rund um den Globus rund 23 Millionen Freizeitboote gibt, gut 95 Prozent davon mit GFK-Rümpfen. Kumulieren konnte sich diese gewaltige Menge, weil GFK-Boote eine Lebensdauer von 40 bis 50 Jahren haben. Und diese lange, aber nicht unbegrenzte Haltbarkeit wird jetzt zum großen Problem, genauer: zu einem Müllproblem. ICOMIA vermutet, dass rund zehn Prozent aller Freizeitboote nicht mehr benutzt werden. Also 2,3 Millionen Fahrzeuge, vom Fischerboot bis zur großen Yacht, warten darauf, entsorgt zu werden. Und jedes Jahr kommen laut dem Dachverband rund 400.000 dazu. Wobei die jährliche Zunahme an schrottreifen Booten stark im Ansteigen begriffen ist. Da die Babyboomer der 1950er- und 1960er- Jahre auch nautisch in Pension gehen und es an Nachwuchs mangelt, beginnt die Zahl der aktiven Wassersportler zu sinken. Und zum anderen statteten die Werften im Laufe der Zeit ihre Yachten mit immer dünner werdenden GFK- Rümpfen aus, was sich natürlich auf die Haltbarkeit auswirkt. WOHIN MIT GFK? Das meiste Kopfzerbrechen bereiten die finanziellen und technischen Aspekte der Entsorgung der GFK-Boote. Die Kosten für die Beseitigung sind europaweit ziemlich ähnlich und reichen von ein paar Hundert Euro für ein Dinghi über rund € 1.500,– für eine 10-Meter- Yacht bis zu € 2.200,– für eine Yacht um die 16 Meter. Nicht inkludiert ist der Transport zum Entsorgungsbetrieb. Kein Wunder, dass so mancher Eigner nach billigeren Alternativen sucht, sein Boot loszuwerden. Wer kennt nicht die Schmuddelecken der Häfen und Marinas, in denen „vergessene“ Boote vor sich hingammeln. Nicht zu reden von jenen betagten Exemplaren, die in Schuppen oder Hallen stehen und seit vielen Jahren kein Wasser mehr gesehen haben, oder noch schlimmer und illegal: die nie wieder Land sehen, weil sie am Meeresgrund entsorgt wurden. Die Kosten für die Verschrottung von Booten sind so hoch, weil erstens der Materialmix – Metalle, Kunststoffe, Holz, Seile, Treib- und Schmierstoffe, Textilien, Elektronikschrott, usw. – ein sehr bunter ist, der nur arbeitsaufwändig zu entflechten ist. Zweitens können nur wenige Altstoffe wie z. B. Metalle oder Schmierstoffe bei der Entsorgung gewinnbringend weiterverkauft und wiederverwertet werden. Und drittens bestehen die Boote zu einem guten Drittel aus GFK, ein Material, das sich nur äußerst schwierig recyceln lässt. „ 2,3 Millionen GFK-Freizeitboote warten darauf, entsorgt zu werden.“ Ist einmal der Verbund von Glasfasern und Kunststoffharz ausgehärtet, lassen sich die Komponenten kaum voneinander trennen. Es gibt zwar thermische und chemische Verfahren, mit denen man die Materialien isolieren kann, jedoch ist GFK so billig, dass sich diese teure Art des Recyclings überhaupt nicht lohnt. Wohin also damit? GFK verrottet nicht, deshalb ist die Ablagerung in Deponien in den meisten Ländern verboten. Meistens wird GFK daher derzeit in Müllverbrennungsanlagen entsorgt, wobei niemand richtig glücklich damit ist, weil der Heizwert nicht sehr hoch ist, bei der Verbrennung sehr viel Asche entsteht und der Brennraum verglast. 5/2019 31
XX X YCA-CLUBLEBEN After Business S
50 | 60 | 70 | 80 Ausgestellte Yach
Laden...
Laden...
Laden...
Follow Us
Facebook
Twitter