Kanusegeln Mit den Wellen auf Augenhöhe Paddeln und Segeln in einem: Segelkanus sind eine kostengünstige und sehr flexible Möglichkeit, Wind und Wellen hautnah zu erleben. Neben den sehr sportlichen Versionen – Taifun- und IC-Klasse – gibt es auch die gemütlicheren Faltboote, die zum entschleunigten Reisen einladen. Ein deutsches Unternehmen an der Ostsee stattet die Kanus mit der nötigen Segeltechnik aus. Vor 200 Jahren wurde der schottische Rechtsanwalt John MacGregor geboren, der sich die Reiseschriftstellerei zum Hobby machte. In den 1850er-Jahren lernte er auf einer Reise nach Nordamerika die dortigen Kajaks kennen und ließ sich in England eines nachbauen. Und weil in England damals kaum ein Boot ohne Segel ausgerüstet wurde, bekam auch MacGregors Kajak eines. Was sich als gute Idee herausstellte, weil es für den Schotten das ideale Fahrzeug war, um die Küsten, Flüsse und Seen Mitteleuropas, der baltischen Staaten und sogar den Nahen Osten zu bereisen. MacGregors Resümee: „Zu Fuß wird einem durch jedes Meer und jeden Fluss, und in einem gewöhnlichen Segelboot durch jede Untiefe und jedes Ufer Grenzen gesetzt. Ein Kanu aber kann gepaddelt oder gesegelt, gezogen oder über Land oder Wasser getragen werden.“ SPORT VERSUS REISE Die Segelkanus wurden populär, es gab bald Nachfolger MacGregors, die mit Kanu, Paddel und Segel ausgerüstet quer durch Europa reisten, ab 1882 wurden auch Regatten ausgetragen. Der Schwerpunkt bewegte sich im Laufe der Jahre immer mehr in Richtung Sport. Heute haben sich die Taifun- und die IC-Klasse etabliert, deren Boote mit 5,2 Metern nicht länger als Jollen, aber mit eine Meter Breite viel schmaler sind. Vor allem aber besitzen sie anstatt eines Spiegelhecks ein Spitzheck. Das Segelkanu als Reisemittel ist hingegen etwas aus dem Fokus des Mainstreams gerückt. Es gibt aber noch Individualisten, die der wohl spartanischsten Art des Segelns erlegen sind. Kein Stress mit Slippen, Kranen, Trailern, Liegeplatz oder Winterlager. In kürzester Zeit ist das Fortbe wegungsmittel vom Autodach oder Kofferraum auf dem Wasser und segelfertig. Und wenn der Wind mal Pause macht, wech- 44 4/2024
Mit seinen Segelkanus nimmt Ingo Müller Kurs auf die Individualisten des Wassersports. selt man einfach zum Paddel. Es ist die Flexibilität, die die Anhänger begeistert! VOM ZELT ZUM RIGG Paddelboote in Form von Kanus (etwas breiter und mit Verdeck) oder Kajaks (schmaler, ohne Verdeck) gibt es reichlich. Beim Rigg hingegen sind meist Eigenbau und/ oder individuelle Lösungen gefragt. So war es auch bei Ingo Müller, der noch zu DDR-Zeiten ein Faltboot erstand und jeden Sommer Paddeltouren für Freunde organisierte. „Schon damals nutzen wir jede Gelegenheit, den Wind für uns arbeiten zu lassen. Egal, ob Regenschirm oder Plane – wenn er günstig stand, wurde gesegelt“, erzählt Müller. Sein erstes provisorisches Segel baute sich Ingo Müller aus einer alten Angel und einem kaputten Zelt. „Das funktionierte sogar recht gut“, erinnert er sich. „Zurück musste ich allerdings paddeln, weil mit dem Segel ein Kreuzen nicht möglich war.“ Grund genug für den Maschinenbauer, sich intensiv mit Segeltechnik zu beschäftigen. „Irgendwann kam mir die Idee, das schnellste Faltboot der Welt zu segeln, was sich zu einem ernsthaften Spleen entwickelte, Kajaks regattatauglich zu machen.“ Müllers Boot bekam einen zweiten Mast, die Masten wurden höher und die Segel größer, Ausleger wurden nötig. Das Projekt erhielt den schönen Namen „(K)Enterprise“, ein dezenter Hinweis auf die mitunter recht wackelige Wasserlage dieser Bootsklasse. ALLES AUS EINER HAND Die (K)Enterprise segelte immer besser, die Teilnahme an Regatten sorgte für Aufmerksamkeit und weckte den Wunsch bei anderen Faltboot-Besitzern nach ähnlicher Segelausrüstung. Über Faltbootesegel-Bastelworkshops entstand schließlich ein eigenes Unternehmen, das heute unter em² firmiert und dessen Produktpalette Segeltechnik für Kajaks und Kanadier in vielen Varianten umfasst. Die Boote, also den Rumpf, lässt man sich von renommierten Herstellern wie Lettmann liefern. Rigg, Ruder, Ausleger, Segel und Schwerter kommen dann von em² und können individuell angepasst werden. Das Segelkajak Summerwind lässt sich beispielsweise als Einmaster mit Mistral- oder Albatros-Rigg oder als Zweimaster takeln. Müller hat seine Segelkanus für eine breite Palette von Gewässern ausgelegt. Sie eignen sich für stille Binnenseen, bieten jedoch auch die nötige Robustheit und Sicherheitsreserven für herausforderndere Bedingungen, wie sie beispielsweise auf der Ostsee herrschen. An der Ostsee, nämlich in Sundhagen am Strelasund, liegt auch der em² Campus, wo man das Segelequipment erleben und kaufen kann und auch Kurse und Events (wie z. B. am 20. Juli die 2. Faltbootsegel-WM) organisiert werden. „Ich wollte etwas erschaffen, das nicht nur leistungsfähig, sondern auch für den durchschnittlichen Menschen zugänglich und handhabbar ist“, sagt Ingo Müller. „Dabei spielte der Umweltaspekt für mich immer eine große Rolle. Segelsport ist meist teuer und verbraucht viele Ressourcen. Nicht so beim Segeln mit kleinen Booten. Mit unseren Segelkanus, die dazu im Vergleich sehr günstig und trotzdem vollwertige Segelboote sind, möchte ich den Segelsport einem breiten Publikum näher bringen.“ Was für ihn den Reiz des Kanusegelns ausmacht? „Der größte Vorteil gegenüber traditionelleren Segelbooten wie Jollen, Katamaranen oder Yachten liegt natürlich in der unkomplizierten Handhabung und Transportfähigkeit. Segelkanus bieten die Freiheit, spontan und flexibel auf unterschiedlichsten Gewässern zu segeln, ohne auf kostspielige Liegeplätze oder komplizierte Logistik angewiesen zu sein. Die größte Inspiration für mich ist aber die Natur. Kanusegeln ermöglicht eine direktere Interaktion mit den Elementen Wind und Wasser. Man ist näher an der Oberfläche, was das Segelerlebnis intensiver und persönlicher macht – man segelt sozusagen mit den Wellen auf Augenhöhe.“ Summerwind Segelkajak mit em 2 Mistral-Rigg Länge Breite Gewicht segelfertig Preis netto Preis Zweimaster netto Bezugsquelle: em² Campus, Am Strelasund 1, 18519 Sundhagen, OT Neuhof è www.em2.de 5,0 m 0,85 m 47 kg ab 4.890 Euro ab 6.110 Euro 4/2024 45
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