Dampf und Segel Mai 1890: Iaorana! Liebesgrüße aus Tahiti Aus den Reisebriefen von Onkel Alfred. Der Seekadett berichtet jeweils über die vergangenen Tage und Wochen auf der SMS Fasana (von September 1889 bis Dezember 1890). Die Originalschreibweise ist beibehalten, der Text beschränkt sich auf Ausschnitte. Von 11. bis 19. Mai 1890 liegt die SMS Fasana in Papeete, der Hauptstadt von Tahiti, vor Anker. Die Tahitianische Inselgruppe ist zu diesem Zeitpunkt noch ein formal unabhängiges Königreich, wobei Frankreich durch diverse politische Maßnahmen bereits die Übernahme der Souveränität der Inselgruppe in den Status einer französischen Kolonie vorbereitet hat. Seekadett Alfred beschreibt die politische Vorgeschichte in einem Brief vom 11. Mai 1890 so: Die Insel wurde im Jahre 1790 von französischen Kaufleuten besucht und diese bildeten mit einigen Missionaren bald eine kleine Ansiedelung. Sie vertrugen sich mit den Kanaken*) ganz gut. Ein Jahrzehnt später landeten englische Missionare auf der anderen Seite der Insel und begannen, gegen die Franzosen zu intrigieren. Dem regierenden König von Tahiti, Pomare, war das nicht recht und er ließ die Störer entfernen. Da kamen einige englische Kriegsschiffe und setzten Truppen wie auch weitere Missionare gewaltsam an Land. Der König konnte sich nicht anders helfen, als dass er die Franzosen zu Hilfe rief. Diese schickten eine starke Flottenabteilung nach Tahiti, welche die Engländer zum Rückzug bewog. Zum Dank dafür räumte der König den Franzosen gewisse Rechte ein. Im Laufe der Zeit wurden diese Rechte größer und der gegenwärtige Stand der Dinge ist folgender: Der König Pomare V. von Tahiti ist gleichzeitig auch französischer Prinz. Er hat das Recht, einen Hofstaat zu halten, das Begnadigungsrecht, das Gesetzgebungsrecht mit Beistimmung Frankreichs. Nach seinem Tode folgt ihm sein Sohn nicht auf den Thron, sondern das Haus Pomare erlischt als Königsfamilie, während der Prinzentitel aber erblich ist. Die Insel Tahiti beschreibt Alfred von Anfang an enthusiastisch und voller Begeisterung. Möglicherweise ist aber der „paradiesische“ Gesamteindruck, den Alfred mitgenommen hat, durch einen besonderen Umstand beeinflusst: Er hat sich verliebt. Teura heißt die geheimnisvolle Schönheit, vermutlich wird das wie „Tee-Ura“ ausgesprochen. Geheimnisvoll deshalb, weil die Begegnungen mit der jungen Frau sehr oft beobachtet werden und nicht selten heften sich Verfolger an die Spuren des Paares. Die erste Begegnung mit Teura beschreibt Alfred so: Jeden Mittwoch und Samstag abends wird auf dem Platz vor dem königlichen Palast ein Tanz aufgeführt, der „Upa-Upa“ heißt. Ich habe selten so eine Riesenhetz mitgemacht, welche eigentlich kindisch ist. In der Mitte des Platzes steht ein kleiner Musikpavillon, um ihn herum war der Boden ganz ausgetreten. Um diesen graslosen Ring lagerten auf dem Boden die Kanaken. Ein Halbkreis wurde von den Kanakinnen gebildet, die Blumen verkauften. Vor ihnen auf einem Tuch waren schöne Kränze, Sträußchen, Rewa-Rewa und ein- CHRISTIAN WINKLER ist Fahrtensegler und Autor. Der Vortrag in seiner Reihe „1890: Mit Dampf und Segel um die Welt – aus den Reisebriefen von Onkel Alfred (Teil 1)“ dauert eineinhalb Stunden und enthält neben Original- Passagen auch historische Bilder, Hintergrundinfos, Grafiken, Anekdoten u. v. m. www.moresail.at zelne Blumen ausgebreitet, welche um einen Franc verkauft wurden. Bei jedem Tuch stand eine brennende Kerze oder Lampe, welche mit Kokosnussöl gefüllt war und so war der Platz ziemlich hell erleuchtet. Der Männer gab es wenige, viele trugen Kränze auf dem Hut oder um den Hals. Sie standen mehr im Hintergrund. Von Frauen waren größtenteils die Mädchen vertreten und lagerten am Boden oder standen gruppenweise beisammen. Sie waren noch reicher mit Blumen geschmückt. Es war ein reizender Anblick, diese malerischen Gruppen zu betrachten. Die „Upa-Upa“, wie sie hier getanzt wurde, ist eigentlich kein Tanz, denn sie besteht darin, dass Reihen von 2 bis 5 Tänzern im Wechselschritt um den Pavillon springen. Alles, was in den Weg kommt, wird ostentativ angerannt. Namentlich die Mädchen entwickelten eine Lustigkeit, die sie Bacchantinnen ähnlich machte. In allen möglichen Variationen bewegten sie die Arme und rissen ihre Begleiter wie rasend mit sich fort, dabei erfüllte ein Gelächter, Stimmengewirr und Lärm die Luft, sodass der Zu- * Kanake oder Kanaker ist zur Zeit von Alfred Winkler kein Schimpfwort und auch nicht rassistisch gemeint. Vielmehr ist es in der Tahitianischen Sprache das Wort für „Mensch“, und wird auch in anderen Gegenden Polynesiens so verstanden. Die abwertende Bedeutung erhielt das Wort erst in Europa in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts, die Gründe für die Bedeutungsänderung sind nicht bekannt. Alfred verwendet die Bezeichnung Kanake – oder in der weiblichen Form Kanakin – nicht abwertend, sondern wertneutral als Bezeichnung der einheimischen Bevölkerung aller polynesischen Inseln. ** Hier müssen wir versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen: Die Briefe an die Familie konnten wegen der strengen Sitten natürlich keine amourösen Elemente enthalten, aber was vor sich geht, wenn drei jungen Paare nachts unter Palmen „ruhen“, können wir uns gut vorstellen … 36 4/2024
ILLUSTRATION: MORPHART CREATION/SHUTTERSTOCK.COM Regierungspalast, Kaserne der Marinesoldaten und Haus des ehemaligen Königs auf Tahiti. Bild rechts: Tahitianerinnen ver kaufen Blumen vor dem Haus des Königs, wo traditionell auch der „Upa-Upa“-Tanz aufgeführt wird. Quelle: Stiche aus dem Journal des Voyages (Reisetagebuch, 1880–1881). schauer sich in einer anderen Welt glaubte. Die schöne Natur und ihre noch schöneren Kinder, welche trotz aller Ausgelassenheit immer eine gewissen Anmut bewahren, sind ganz dazu geschaffen, den Europäer in eine fremde Sphäre zu versetzen und jede Kritik hinwegzulachen. SPIONE UNTER PALMEN Im Zuge dieser Tanzveranstaltung lernt Alfred schließlich Teura kennen: Im Zuge des Gespräches machte ich die überraschende Wahrnehmung, dass Teura eine ganz bedeutende Bildung besaß, welche es mir ermöglichte, über die verschiedensten Dinge mit ihr zu sprechen. Ich erkundigte mich genauer nach ihren Verhältnissen und sie erzählte mir, dass sie an einer Schule in Papeete Lehrerin sei, welche Stellung mir einigermaßen ihre Bildung erklärte. Während der Unterhaltung bemerkt Alfred, dass verschiedene Männer und Knaben das Paar beobachten. Teura sagt, das wären Cousins, die wollen, dass sie nach Hause gehe. Diese Erklärung genügt Alfred vorerst, der sich allerdings wundert, denn die Tahiti-Mädchen sind sehr frei, zu machen, was sie wollen. Der Abend endet mit der Vereinbarung einer Wagenpartie (Mietkutsche, Anmerkung) am nächsten Tag. Zwei weitere Kadetten haben ebenfalls Bekanntschaft geschlossen und so gibt es nun drei Paare, die gemeinsame Unternehmungen machen. Die Fahrt war sehr schön, wir sangen alle möglichen Lieder und staunten, dass die Mädchen viele derselben, namentlich Operettenlieder, kannten. Ja, Teura fragte mich sogar nach der 5. Symphonie von Beethoven und setzte mich dadurch in Verlegenheit. Immer tiefer ging es in den Palmenwald hinein und ich schlug schließlich vor, auszusteigen und zu Fuß die Partie fortzusetzen. Es war wirklich schön, in der Dunkelheit unter den Palmen zu wandeln und noch schöner, dort zu ruhen**). Vor dem Aufbrechen tanzten wir nach einigem Gesang einen Walzer und fuhren um 10 Uhr (abends, Anmerkung) wieder nach Papeete, wo wir der Spione wegen sehr vorsichtig manövrierten und die einzelnen Paare sich trennten. Ich setzte mich mit Teura in ein Boot, worin wir bis 2 Uhr morgens plauderten. Ich befragte sie über die Spione und sie wollte mir keine bestimmte Antwort geben. Es seien Leute, die ihr Cousin ausgeschickt habe, um sie zu beschützen. Teura versprach, am folgenden Abend in einem Kanu an Bord zu kommen, da ich Wache hatte. Das vereinbarte Rendezvous an Bord der Fasana muss in Hinblick auf die Dienstverpflichtung natürlich geheim bleiben, und so müssen sich Alfred und Teura – genau wie an Land wegen der „Spione“ – auch hier verstecken. Die Paare unterhalten sich unentdeckt in den Beibooten des Schiffes, die „an den Backspieren vertäut“ sind, d. h. sie schaukeln im Windschatten (Lee) des Schiffes im Wasser. Bei einem zweiten Besuch der Mädchen an Bord werden diese immerhin schon in das „Karree“ (Aufenthaltsraum) der Kadetten eingeladen. Um 9 Uhr hätten die Gäste das Schiff verlassen sollen, da zu dieser Stunde an Bord eines Kriegsschiffes keine Fremden sein dürfen, ohne dass der erste Leutnant hiervon Kenntnis hätte. Wir begaben uns daher heimlich auf die Brücke, wo wir uns im Kartenhäuschen versteckten, bis die General- Ronde (Kontrollgang) vorüber war. Beim letzten Treffen der drei Paare erfährt Alfred schließlich die Lösung für das Rätsel der „Spione“, wie hier in seinen eigenen Worten wiedergegeben: Kurz vor dem Auslaufen hatte ich durch verschiedene Umstände erfahren, dass Teura die Schwester der Königin von Tahiti und der Bora-Bora-Inseln war. Dies erklärte mir auch alles, was ich früher nicht begreifen konnte. Alfred wird noch angeboten, Teura zu heiraten und in Tahiti zu bleiben, was er („… nach hartem Kampf …“) ablehnt, denn natürlich träumt er von einer glänzenden Karriere bei der Marine. Irgendwie schade, meine ich. Aber wer weiß, vielleicht stellt sich ja einmal heraus, dass die Winklers noch Verwandte in Tahiti haben. In der nächsten Ausgabe: Im Land der Amokläufer. 4/2024 37
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