Haarscharf am Desas Einhand war ich unterwegs von Thailand nach den Philippinen und Taboo III segelte langsam über das glatte Meer. Der Horizont rundherum war ein gerader Strich, der nur ab und zu durch ein Fischerboot unterbrochen wurde, obwohl die Küste von Vietnam bereits 200 Seemeilen zurücklag. Ich befand mich in internationalen Gewässern, in dem internationales Recht gilt – oder das Recht des Stärkeren, je nach Auslegung. Voraus die von den Vietnamesen besetzten Spratly Inseln und Amboyna Cays, wo vor Jahren ein deutscher Katamaran aus Singapur durch Geschützfeuer in Flammen gesetzt und abgefackelt wurde, weil er diesen Stellungen zu nahe gekommen war. So etwas würde heute nicht mehr passieren, trotzdem hatte ich nicht vor, mich in Sichtweite solch umstrittener Inseln sehen zu lassen. Das alles ging mir durch den Kopf, als ich schon seit längerem ein vietnamesisches Fischerboot beobachtete, das unmerklich seinen Kurs geändert hatte, bis es genau achterlich war. Jetzt kam es langsam näher. Ich hatte noch einige Minuten Zeit, Vorbereitungen zu treffen und eine Tasse Kaffee zu machen. Kurz nachdem ich dann im Deckstuhl saß, manövrierten sich meine Verfolger in eine Position, die ca. 30 Meter hinter meinem Steuerbordrumpf lag. Dabei blieb es einmal, während wir uns gegenseitig beäugten. Als ich ein Foto machte, hoben zwei der Gestalten einen müden Arm. Auf dem Deck des kleinen Schiffes, über dem gleich vier rote Flaggen mit dem gelben Stern flatterten, befanden sich zwölf Männer. Was sie vorhat- Wolfgang Hausner ist Weltumsegler, Schriftsteller und ocean7-Autor. Derzeit weilt er mit seiner Taboo III, einem 18-Meter-Katamaran, auf den Philippinen im Südchinesischen Meer. wolfgang-hausner.com 26 4/2017
In internationalen Gewässern gilt internationales Recht – oder das Recht des Stärkeren. Und manchmal braucht es starke Nerven, wenn etwa nachts das Echo voll anschlägt und absolut nichts zu sehen ist, wie Weltumsegler Wofgang Hausner zu berichten weiß. Text Wolfgang Hausner ter vorbei Teil 2 ten, war nicht ersichtlich, Waffen waren keine zu sehen. Vielleicht war es nur Neugierde, aber dann hätten sie sich nicht so umständlich anschleichen müssen. Oder sie überlegten, was es auf dieser großen Yacht zu holen gab und welches Risiko damit verbunden war? Gun & Colt stets griffbereit Zu holen gab es jede Menge und das Risiko war enorm. Aber von dem letzteren hatten sie keine Ahnung, denn das M16 und der 45er-Colt lagen griffbereit, aber nicht sichtbar zu meinen Füßen. Foto: Shutterstock Zwei Magazine des Schnellfeuergewehres waren mit Klebeband verbunden – ich hatte also die Möglichkeit, innerhalb weniger Sekunden 60 Projektile durch den Lauf zu jagen. Aber dazu müsste ich erst einen guten Grund haben, z. B. wenn der Holzkahn versuchen würde, längsseits zu kommen. Meine Reaktion wären abwehrende Handbewegungen, und sollte das nicht helfen, eine kurze Garbe über die Köpfe der Bande zu feuern. Spätestens zu dem Zeitpunkt kämen auch irgendwelche Waffen zum Vorschein, falls vorhanden. Ab dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Sie hauen in Anbetracht dieses energischen Widerstandes ab oder gehen zum Angriff über und es entsteht eine Schießerei. Der Ausgang einer solchen Situation lässt sich aber nicht voraussagen. Von einer weiteren Variante – sich nämlich in Anbetracht mehrerer gezückter Schusswaffen zu ergeben, und zu hoffen, dass man mit dem Leben davonkommt – halte ich nichts. Die Chancen, mich mit dem geplünderten Boot weitersegeln und die Story nachher erzählen lassen, lagen bei Null. Die Kerle sahen mit unbeweglichen Mienen zu mir rüber und zeigten auch keine Reaktion zu Kommentaren, die ich ab und zu in die Richtung des Niederganges vom Stapel ließ. Dort befand sich niemand, aber das konnte keiner wissen. Nachdem sie zu zwölft waren, war es naheliegend, bei mir ebenfalls mehrere Personen an Bord zu vermuten. Fast zwei Stunden lang zog sich dieser Nervenkampf hin, dann sprach der Mann auf der Brücke plötzlich in ein Mikrofon, von dem vorher nichts zu sehen war, das Schiff drehte ab und tuckerte zu meiner Erleichterung davon. Es ist schwer zu sagen, ob diese Situation wirklich gefährlich war oder nicht. Aber es sollte dicker kommen am nächsten Tag. Millionen von regentropfen Es war Anfang August, die Taifunsaison im Nordwestpazifik war in vollem Schwung, aber daran ließ sich nichts ändern. Wer sich dieses Revier aussucht wie ich, muss das eben in Kauf nehmen – komme, was da wolle. Und es kam dicke. Während der Nacht frischte der Wind und ich bemerkte ab und zu ein kleines Licht, das sicherlich zu einem Fischerboot gehörte. Es ist meine Angewohnheit, das Radar nur dann zu verwenden, wenn ich selbst nicht an Deck bin. 4/2017 27
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