OCEAN7Service Verlässliches Ankergeschirr und eine ausgefeilte Ankertechnik sind für Fahrtenyachtcrews essenziell, denn sie müssen sich auf unterschiedlichste Bedingungen in den verschiedenen Revieren entlang ihrer Reiseroute einstellen. Eine gemütliche Fahrtenyacht wie Pitufa verbringt den Großteil der Zeit vor Anker, nur Überfahrten und ein paar wenige Tage im Jahr an Muringbojen bringen eine kurze Verschnaufpause für den Anker, denn Marinabesuche sind selten. Kinder- oder Trauerspiel? Text und Fotos: Birgit Hackl und Christian Feldbauer Material. Die beste Ankertechnik hilft nicht viel, wenn es am Material mangelt. Und so möchten wir an dieser Stelle ein Loblied auf einen viel zu selten besungenen Helden anstimmen, der bei dieser Ehrung zwar durch Abwesenheit glänzt, dafür aber eine denkbar gute Entschuldigung hat: Unser 25 kg schwerer Bügelanker steckt mal wieder bis zum Hals im Dreck und legt sich dabei für die Sicherheit von uns und all unserem Hab und Gut (insgesamt etwa 13 Tonnen) voll rein. Der Bügelanker hält perfekt in Sand, Schlamm und sogar weichem Schlick. Wir meiden normalerweise Felsen und abgestorbene Korallen, doch manchmal gibt es keine andere Alternative, und dann verkeilt sich dieses Modell ebenfalls brav, wenn auch eventuell erst nach mehreren Versuchen. Ein weiterer Vorteil des Bügelankers ist, dass er sich bei Windrichtungswechseln schnell neu setzt. Wir kennen einige Cruiser, die nach schlechten Erfahrungen mit ebenfalls populären Delta- und Pflugscharrankern (CQR) unterwegs auf einen Bügelanker (ein ähnliches Modell im internationalen Raum ist als Rocna bekannt) umsattelten. Eine schwere Zehn-Millimeter-Kette bringt zusätzliche Sicherheit, und da wir im Pazifik oft tief ankern müssen (nicht selten liegt der Anker tiefer als 20 Meter), haben wir 70 Meter Ankerkette, gefolgt von 30 Meter Seil im Ankerkasten. Im Dauereinsatz beginnt eine galvanisierte Kette bald zu rosten. Wir haben uns trotzdem gegen Inox entschieden, da dieses zwar immer schön glänzt, irgendwann aber heimtückisch spröde wird und dann ganz unerwartet brechen kann. Unabhängig vom Material ist jedoch ganz wichtig, dass die Kette gut am Seil und dieses wiederum am Boot befestigt ist – den Gesichtsausdruck eines Ankernachbarn, der an einem tiefen Ankerplatz in den Gambierinseln erstmals seine gesamte Kette ausrauschen ließ, die dann mit einem Platsch vor dem Bug im Meer versank, hätte ich gern als abschreckendes Beispiel fotografiert … Der Arme musste einen Taucher engagieren, um Anker und Kette im schlammigen Bodengrund wiederzufinden. Obwohl unser Ankerseil mit einem dicken Schäkel mit dem Boot verbunden ist, haben wir doch vorsichtshalber noch einen alten Pflugscharranker als Reserve am Bug – wir haben schon zu viele Geschichten von Booten gehört, die ihr Ankergeschirr bei rapid schlechter werdenden Bedingungen nicht bergen konnten und es in der Hoffnung auf eine spätere Rückkehr an einer Boje zurücklassen mussten. Ankertechnik. Bevor wir in einer uns noch unbekannten Bucht ankern, ziehen wir ein paar Erkundungskreise, halten Ausschau nach Untiefen und Sandbereichen zum Ankern. Ist es zu tief für einen visuellen Eindruck, versuchen wir mit dem Blick aufs Echolot die Topografie des Meeresgrunds abzuschätzen. Springen die Tiefenanzeigen wild herum, liegen wohl Felsen auf dem Boden oder es wachsen Korallen, bleibt die Anzeige stabil, besteht Hoffnung auf ein sandiges Becken. In allgemein felsigen Gegenden hilft ein Blick ans Ufer: Vor einem Strand oder der Mündung eines Flusses oder Baches findet man am ehesten sandigen Ankergrund. Werden in eine offene Bucht Wellen oder Schwell gedrückt, verbringen wir manchmal eine Weile treibend und versuchen abzuschätzen, welche Ecke am ehesten vor Reflektionen geschützt ist. Haben wir uns für eine Stelle entschieden, lassen wir den Anker mit dem Bug in den Wind fallen und geben erst einmal nur wenig Kette (doppelte Wassertiefe) nach, damit wir den Anker im Rückwärtsgang ordentlich setzen können (nur bei weichem Schlamm braucht der Anker eine Weile um einzusinken, man 32 OCEAN7 04/2016 | Juli/August 2016
Ankern 1 sollte nicht gleich heftig ziehen). Erst dann geben wir in langsamer Rückwärtsfahrt drei- bis fünffache Wassertiefe nach. Dieses Basismanöver wird in jeder Segelschule unterrichtet, aber es ist erstaunlich, wie oft man Ankernachbarn beobachten kann, die in schneller Vorwärtsfahrt Kette ausrauschen lassen, ohne Fahrt einen Spaghettiwickel Kette auf den Boden lassen oder beim Ankern in viel zu schneller Rückwärtsfahrt unterwegs sind. Als Resultat dieses Trauerspieles driften diese Boote dann schon bei leichten Böen durchs Ankerfeld und gefährden dabei andere. In beliebten Buchten mit dichtem Ankerfeld halten wir deshalb bei auffrischendem Wind ein Auge auf die Nachbarn und lassen das Funkgerät auch in der Nacht eingeschaltet. Hallt eine allgemeine Warnung wie „Catamaran in the middle of the field, you are dragging“ (Katamaran in der Mitte des Felds, ihr driftet …) aus dem Funkgerät, sieht man allerorts hektische Crews ins Cockpit stürzen. Auf Isabela (Galapagos- Inseln, sandiger Bodengrund, dazwischen Riffe, ein dichtes Ankerfeld) beobachteten wir staunend eine amerikanische Crew, die an etwa zehn verschiedenen Stellen versuchte zu ankern. Das Ritual lief immer gleich. Erst Vollgas Rückwärtsgang, dann fiel der Anker und bevor der Anker noch wirklich am Boden war, geriet das Boot schon viel zu nahe an eine andere ankernde Yacht. Der Skipper winkte vom Cockpit aus ab und die Crew durfte den Anker gleich wieder (von Hand!) einholen. In Cartagena de Indias (Ankern im Stadthafenbecken, schlammiger Bodengrund) driftete eine Stahlketsch gleich mehrmals rückwärts an uns vorbei, die senkrecht nach unten zeigende Kette war dabei ein aussagekräftiger Indikator. Wir düsten dem Boot mit dem Dinghi nach, klopften die schlafende Crew auf Deck, doch unser Hinweis auf zu wenig Kettenlänge wurde mit einem Kopfschütteln abgetan. Wir nannten die Ketsch mit dem schönen Namen Dragonfly (Libelle) dann nur noch „Dragging Fly“ (driftende Fliege). In Arue (Tahiti, Ankerfeld vor einer Marina, weicher Schlamm) lud uns eine freundliche, kanadische Familie gleich nachdem sie neben uns geankert hatte, zu Drinks am Abend ein. Aus der Einladung wurde nichts, weil am Nachmittag leichte Böen durchs Ankerfeld bliesen (15 bis 20 Knoten) und der Katamaran mit solcher Regelmäßigkeit auf die Rückwärtsreise ging, dass die Familie im Endeffekt in eine Marina wechselte. Als wir sie wiedertrafen, fragten wir vorsichtig nach, welchen Anker sie verwendeten und erfuhren, es sei ein tolles, neues Patent, das durch einen Treibkörper immer aufrecht gehalten werde. „Wir sind sehr zufrieden damit, aber wenn der Wind auffrischt, driften wir normalerweise“, meinte der Sohn fröhlich und bewies, dass Ansprüche an Haltekraft halt sehr subjektiv variieren. 1 Perfekte Ankerbucht in den Gambier: klares Wasser, viel Platz zum Schwojen, Sand auf dem Boden 2 Pitufas Bugroller hält Bügelanker und Reserve-CQR und hat immer noch Roller frei (z. B. fürs Bergen vom Heckanker) 2 Juli/August 2016 | OCEAN7 04/2016 33
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