OCEAN7Service Blaues Blut Krabbenfang im Arktischen Ozean 2 Fremde sind durchaus willkommen im hohen Norden Norwegens. Was an Land gilt, trifft auch für die Wasserseite zu. OCEAN7-Autorin Kirsten Panzer-Gunkel hat in Norwegen Fischer besucht, die vom Fang der aus Russland zugewanderten monströsen Königskrabben leben. Text und Fotos: Kirsten Panzer-Gunkel 1 Die Einwanderungspolitik funktioniert, heißt es in Norwegen. Das trifft auch auf den quasi letzten Zipfel des Landes zu. In der nördlichsten Provinz, die einst von den Finnen besiedelt wurde und dementsprechend den stolzen Namen Finnmark trägt, lebt heute eine ganze Reihe von Nationalitäten miteinander: Filipinos, Schweizer, Letten, Esten, Deutsche, Thailänder, Somalier, Finnen, Schweden – alle zugereist. Man arrangiert sich, teils fürs Leben, teils vorübergehend, arbeitet zusammen und kommt miteinander aus. Die Fremden auf dem Meeresgrund der Barentssee sind von Osten gekommen. Es könne gar nicht sein, diese monströsen Lebewesen kämen in norwegischen Gewässern gar nicht vor. Sie gäbe es nur am weit entfernten östlichen Ende Russlands, in den Gewässern um die Kamtschatka-Halbinsel und außerdem ständen sie auf der Roten Liste. Nein, er müsse sich irren! Das war damals die Reaktion seitens des Meeresinstituts Bergen, als ein Fischer Mitte der 1970er Jahre telefonisch und sehr verwirrt um eine nähere Definition seines so seltsamen Fanges bat. Eine Königskrabbe war ihm ins Netz gegangen – die erste in ganz Norwegen. 1,80 Meter Spannweite von Bein zu Bein. Ein schaurig schöner Sensationsfund, der kein Einzelfall blieb. Es folgte quasi eine russische Invasion, der sich Norwegen gegenüber sah. „Inzwischen ist das Meer voll davon, auf dem Meeresgrund wimmelt es nur so von diesen Viechern“, erzählt Leif Ingila, während wir auf seinem Kutter durch die Hafeneinfahrt von Bugøynes hinausfahren, hinein in den Varangerfjorden, der dem arktischen Meer Einlass ins Land gewehrt. Schon eine halbe Stunde später: Maschine drosseln, den sicheren Stand wahren, eine Hand für den Mann (oder die Frau), eine Hand fürs Boot. Schiffsbewegungen ausgleichen – auch an herrlichen, außergewöhnlich ruhigen Herbsttagen rollt der Kahn – und Aus-
Königskrabben in Norwegen 3 4 Foto: Shutterstock (1) schau halten. Auf etwa zehn Uhr leuchtet es orange auf dem Wasser. „Jetzt müsst ihr mit anpacken. Versucht, mit dem Bootshaken die Boje zu fangen, während ich ganz langsam ranfahre. Nur fangen und halten, den Rest mach’ ich dann wieder“, setzt Leif uns als Fischerlehrlinge ein. Hin und wieder nimmt er Gäste mit an Bord, die dann beim Krabbenfischen helfen dürfen. Zweimal in der Woche nimmt die Krabbenfabrik seinen Fang ab, jeweils bis zu 150 Kilogramm lebende Königskrabben liefert der 61-Jährige dann. Pro Kilogramm werden zurzeit 80 norwegische Kronen (etwa 100 €) ausgezahlt. Die Fangquote pro Fischer liegt bei 2.000 Kilogramm im Jahr. Ein lukrativer Job für die etwa zwanzig Fischer hier am Fjord. „Früher waren die Preise noch besser. Es gab Zeiten, da haben wir 120 Kronen pro Kilo bekommen, aber es ist wirklich ein guter Job, vor allem ein sauberer. Man braucht nur die Krabben einzusammeln und schon geht’s wieder in den Hafen, das war’s. Kein Dreck, keine Sauerei“, sagt‘s und legt mit festem Griff die eingefangene Leine auf die elektrische Winde. 140 Meter Seil wickeln sich langsam um die Trommel, heraufgeholt aus 120 Meter Tiefe. Handarbeit war gestern. Die Frage, ob der Job wirklich so einfach sei, im Winter, bei einem ordentlichen Sturm, acht Beaufort vielleicht und dickem Nebel, lächelt er äußerst charmant weg: „Im Januar bin ich mit meiner Frau in Thailand oder auf den Kanaren, mindestens vier Wochen“. Fernreise dank der Nachfrage der weltweiten Gourmetrestaurants. Schließlich gelten die King Crabs als Delikatesse. Doch jetzt muss zugepackt werden. Winsch stopp, kurz rückwärts laufen lassen, etwas Lose geben, den Käfig langsam innenbords balancieren, noch mehr Lose, absenken, Leine belegen. Das Boot schwoit im Leerlauf, Möwen kreisen, der Fang ist eingebracht. Ein Käfig voller Krabben. Nicht alle davon sind für den Verzehr geeignet. „Bigger the better“, ist Leifs Devise und wirft auch schon die ersten beiden über Bord. Schonzeit, sie dürfen weiterwachsen. Fünf bis zehn Jahre alt sollten sie schon sein. Und so sind die Exemplare, die in den etwa zweimal eineinhalb Meter großen, raugeschrubbten, gelblich ausgeblichenen Plastikwannen landen, auch besonders imposante Exemplare. Auf rund 1,50 Meter Breite von Bein zu Bein bringen sie es locker. In der Mitte der gepanzerte stachelige Rumpf, zwei wache Augen, zwei hyperaktive Fühler, zwei Scheren – eine kleine zum Halten, eine größere zum Knacken – alles in allem also zehn Beine und schon ist sie fertig, die Stalinkrabbe. Auch so wird sie genannt, nach ihrer russischen Herkunft und nach ihrer alles niedermähenden Vorgehensweise auf dem Meeresgrund. Den Namen King Crab oder Königskrabbe gab ihr wahrscheinlich eher die romantische Fraktion unter den Fischern und Meeresbiologen – ihr Blut ist nämlich königlich. Das Blau ist besonders gut auf weißem Schnee zu erkennen – märchenhaft, ganz im Gegensatz zum Äußeren des Tieres. Wie die Jungen so dürfen auch die Weibchen weiterleben. Ein ganzer Klumpen braun-schwarzer kleiner Eier unter dem Bauchoder Brustpanzer verrät das Geschlecht. „Das sieht doch aus wie Kaviar“, trifft Alexandr die Sache auf den Punkt. Der breitschultrige, kräftige Este mit dem wehmütig lächelnden Blick hat die touristische Variante gewählt – mit dem Zodiac und nicht mit dem Fischerboot. Die King Crab-Safaris werden seit zwei Jahren nahe der russischen Grenze ab Kirkenes angeboten. Korbsuche ist auch hier der erste Programmpunkt. Überlebensanzug, Rettungsweste, Mütze mit Gesichtsabdeckung, Brille bieten Schutz und Sicherheit, wenn das offene Boot in irrem Tempo über das eiskalte Meer jagt – wie Greenpeace-Aktivisten auf ihrem Weg zum ungeliebten Walfänger. Vorbei an Torpedo-Bunkern, die wir Deutschen und Österreicher einst tief in die Felsen gehauen haben, und uralten heiligen Plätzen der Samen. Im Winter geht es den 1 Leif Ingila, King-Crab-Fischer in Bugøynes, Norwegen 2 Blick vom Hafen auf die östliche Seite des Fischerdorfes 3 Betriebsausflug mit Krabbenfang in Kirkenes 4 Auf einer schmalen Landzunge erstreckt sich Bugøynes in die Barentsee Mai/Juni 2015 | OCEAN7 03/2015 41
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