OCEAN7People El Niño El Niño (span. für „der Junge, das Kind“, hier konkret: „das Christuskind“, USA: El Niño – Southern Oscillation (dt.: El Niño – Südliche Oszillation) (ENSO)) nennt man das Auftreten ungewöhnlicher, nicht zyklischer, veränderter Strömungen im ozeanografischmeteorologischen System des äquatorialen Pazifiks. Der Name ist vom Zeitpunkt des Auftretens abgeleitet, nämlich zur Weihnachtszeit. Er stammt von peruanischen Fischern, die den Effekt aufgrund der dadurch ausbleibenden Fischschwärme wirtschaftlich zu spüren bekommen. Bedingungen für das Auftreten von El Niño stellten sich innerhalb der letzten 300 Jahre in Zeitabschnitten von zwei bis sieben (oder acht) Jahren ein. Jedoch sind die meisten Niños eher schwach ausgeprägt. Es gibt Hinweise auf sehr starke El-Niño- Ereignisse zu Beginn des Holozäns vor etwa 10.000 Jahren. El Niño ist ein natürliches Klimaphänomen; in den letzten Jahren stoppt die warme Meeresschicht weiter vor der Küste. Ob dies im Zusammenhang mit dem anthropogenen Treibhauseffekt oder mit längerfristigen natürlichen Schwankungen des Pazifiks steht, der derzeit von einer warmen in eine kalte Phase umschwenkt, ist bisher nicht geklärt. (Quelle: Wikipedia) Wer reist wie ich, muss gelassen bleiben mehr. Die Korrosionen in meinen Knien habe ich in den Griff bekommen. Jetzt aber beginnt Bernd über Schmerzen in seinen Knien zu klagen. Er hat einen Liter Fischöl eingekauft. Ich hoffe, er derfangt sich. Ich möchte den angenehmen, gastfreundlichen, unkomplizierten Kapitän und Eigner nicht verlieren. El Niño im Pazifik. Im Pazifik hat es schwachen El Niño. Bernd eröffnet mir das am zweiten Tag mit der Anmerkung, dass er aus Verantwortung für mich, für sich und sein Schiff selbst bei nur schwachem El Niño ganz sicher nicht in den Pazifik segeln werde. Es ist normal, dass El Niño alle paar Jahre auftritt. An Südamerikas Pazifikküste kann es heftige Regenfälle geben. Die Fischschwärme bleiben aus. Das ist stets um Weihnachten, daher der Name, auf Deutsch „das Christkind“. Bei El Niño können Meeresströmungen und Luftdruck im Pazifik kippen. Auf den Philippinen bleibt der Regen aus. „Was bedeutet El Niño für den Segler?“ Diese Frage habe ich in allen einschlägigen Foren gestellt. Ich weiß nun: Der Passat wird schwächer sein. Wirbelstürme werden allenfalls etwas außerhalb der üblichen Gebiete und Zeiten auftreten. Der Wind kann stärker oder schwächer sein oder er setzt ganz aus. Und ich erkenne, dass die Welt der Segler sich wenig um El Niño kümmert. Ich sage dem Bernd, er könne es sich aussuchen, ob er mit mir in den Pazifik segelt oder wer anderer. Wenn ich bloß wen anderen gefunden hätte! In dieser Situation helfe ich unverdrossen, unser Schiff pazifiktauglich zu machen. Bei Bernd erkenne ich wenig Bock. Er hat eine Liste aller Vorhaben am PC erstellt. Da frage ich ihn dann ab: „Was brauchen wir eigentlich noch, um die Welle einzubauen?“ „Hast du den Primer schon gefunden? Dann könnte ich beginnen, das Boot zu streichen.“ Und so weiter. 1 Foto: Shutterstock (1) 34 OCEAN7 01/2014 | Jänner/Februar 2014
Volkmar Baurecker Hat Bernd zwei Seelen, ach, in seiner Brust? Ist das Segeln um die Welt, der Auftrag aus jungen Jahren, obsolet geworden? Wie schreibt doch Max, mein Coach und Freund: „Manche wollen gar nicht segeln. Sie wollen nur sein“. Wie schön! Chaguaramas ist voll von solch statischen Seglern, wie ich später sehen werde. Baut Bernd am 1:1-Modell eines Segelbootes? Ich weiß, dass ihm mein Drängen auf die Nerven gehen könnte. Aber ich kann es ihm nicht ersparen. Entweder will ich segeln und wir machen das Boot flott flott. Oder ich ziehe gleich Plan B durch: Landweg über Venezuela und Kolumbien nach Panama. Warten. Im Februar, als sich der Start über den Atlantik ab den Kapverden von Tag zu Tag verschoben hat, schreibt mir mein Bruder: „… Jetzt wird es anscheinend wirklich ernst. Mich würde das Immerwieder-Verschieben-des-Auslaufens ganz verrückt machen. Alles Gute …“ Eine Freundin schreibt, sie sei beeindruckt, wie gelassen ich die Tage, Wochen und Monate des „Wartens“ erlebe und glücklich vor Lebensfreude sprühe. An Letzterem ist etwas Wahres dran. Es macht mir Freude, zu schauen, was mich dort erwartet, wohin der Zufall mich 2 gebracht hat. Ich habe meine Reise nach geografischen Punkten nicht bis ins Kleinste abgesteckt. Es gibt keinen Terminplan zum Abhaken. „Je schneller du reist, desto mehr Orte wirst du sehen. Je langsamer du reist, umso mehr Zwischenmenschliches wirst du erleben“, schreiben Astrid und Martin in ihrem Weltreiseforum www.worldtrip.de. Und an anderer Stelle verkünden sie ihre vordergründige Erkenntnis: „Je länger man an einem Ort verweilt, desto billiger wird man dort leben“. Ich bin weder im Plan noch außer Plan, sondern weitgehend/weitruhend ohne Plan. Ich versuche das „Leben im Augenblick“. Dank der regelmäßigen Nachfüllung des Pensionskontos behindert mich dabei nicht mehr der Kampf ums tägliche Überleben. Ich stehe allerdings dazu, dass ich mich aufs Weitersegeln freue. Ich freue mich auf die Südsee, auf meine Tochter in Neuseeland, auf den Indischen Ozean, das Rote Meer, den Suezkanal, das Mittelmeer, Ägäis und Adria und auf viele neue Augenblicke, neue Menschen. Und auch auf zu Hause, und dass es da wieder ein liebevolles Segeln gibt mit allem, was da auf mich warten könnte … Es ist genug für alle da! Eines Tages kommt Bernd vom Physiotherapeuten zurück. Er eröffnet mir: Mit dem schmerzenden Knie wird es kein Segeln geben. Jetzt muss er nach Deutschland ins Krankenhaus. Bernd entschädigt mich fair und packt erleichtert seine Sachen. Mit Ted, dem netten Engländer, gibt es Segelversuche nach Tobago und zurück. Aber wir trennen uns wieder, denn wir haben uns wenig zu sagen. Es ist Dezember 2009 geworden. Ich bin niedergeschlagen. „Neue Ideen entwickeln!“ ruft mir ein Freund aus der Heimat zu. „Soll ich mir etwa eine Witwe suchen?“ stelle ich ratlos ins Tagebuch meiner Website. Zwei Wochen später meldet sich M. aus Kanada: „Nicht erschrecken – die Witwe ist da!“ 1 Das Schiff wird auf den Pazifik vorbereitet 2 Maracasstrand – einziger Nationalpark der Inseln Trinidad und Tobago All is lost FilmTipp Ein mit Oscar-Preisträger Robert Redford perfekt besetzter Hochsee-Survival-Thriller über den Überlebenskampf eines Mannes, dessen Segelboot auf hoher See kentert und der sich fortan völlig auf sich alleine gestellt gegen die Naturgewalten behaupten muss. Geschrieben und inszeniert vom Oscar-nominierten Regisseur und Drehbuchautor J.C. Chandor (Der Große Crash – Margin Call) und vom intensiven Score von Alex Ebert (Edward Sharpe and the Magnetic Zeros) begleitet, ist „All is lost“ eine fesselnde und tief bewegende Verbeugung vor dem Einfallsreichtum und der Belastbarkeit des Menschen. Mitten auf dem indischen Ozean: Ein Mann (Redford) wird jäh aus dem Schlaf gerissen, als seine zwölf Meter lange Segelyacht einen im offenen Meer treibenden Schiffscontainer rammt. Als danach auch noch sein Navigations-Equipment und sein Funkgerät lahmgelegt werden, treibt er mitten in einen gewaltigen Sturm. Der Mann schafft es, das Leck in seinem Boot notdürftig zu flicken und dank seiner seemännischen Intuition das Unwetter zu überleben. Nur noch mit einem Sextanten und Seekarten ausgerüstet, muss er darauf bauen, von der Strömung in eine der großen Schiffahrtsstrecken getrieben zu werden, wo er vielleicht auf ein passierendes Schiff treffen kann. Aber unter der unerbittlichen Sonne, umkreist von Haien und mit schwindenden Vorräten, sieht sich der sonst so einfallsreiche Seefahrer schon bald Auge In Auge mit seiner eigenen Sterblichkeit … Jetzt im Jänner/Februar 2014 | OCEAN7 01/2014 35 Kino!
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