OCEAN7People sen mit allen Beigewächsen: Riesige Schlingpflanzen nützen den Stamm als Stütze und freie Abschnitte der Baumkrone für eigenes Blattwerk. Ab Mitte Mai, wenn kaum noch Gäste da sind, bewohnen freiwillige Helfer die Gästehäuser. Das Frühstück wartet im Haupthaus auf mich. Meine Arbeit am ersten Tag: Das Laub unter den Mango-Bäumen zusammenrechen und die Früchte einsammeln. Es beschäftigt mich fünf Stunden lang. Zwischendurch mal duschen, einen Schluck gekühltes Kokosnusswasser trinken und ein paar Mangos essen. Boden sinke. Der Wind fächelt um die Haut. Ich weiß es im Bauch, dass das Erleben der Natur mit allen Sinnen uns heilt, ganz macht an Körper, Seele und Geist. Durch die Sinnesorgane, die Tore zur Seele, kommt das alles herein. Mein „innerer Arzt“ weiß diese Botschaften angemessen auszuwählen und in alle meine Körperzellen fließen zu lassen. Ich zerbreche mir den Kopf nicht, wofür das im Detail Sinn hat. Nur schauen, lauschen, riechen, schmecken, tasten, Gleichgewicht spüren, bei mir sein. Wenn ich mit den Sinnen genieße, habe ich im Kopf keine Fragen nach dem Sinn. 1 2 3 Schauen, lauschen, riechen, schmecken, tasten, genießen Abendessen mit Uta und Verena auf der Veranda des Haupthauses. Uta stammt aus Deutschland. Die beiden sind Mutter und Tochter. Sie verwalten und managen das Balenbouche Estate (www.balenbouche.com). Es ist ihr Familienbesitz seit drei Jahrzehnten. Es dunkelt früh in den Tropen. Von den Bäumen ringsum tönt das laute Konzert von Insekten und Fröschen. Die Luft ist feucht, lau, sanfter Wind, entferntes Donnern der Brandung. Wo bin ich? Ist das das Paradies? Am Morgen wecken mich Rinder mit eindringlichem Gemuhe. Sie fordern ihre Mangos. Das nächtliche Quaken, Rasseln, Zirpen und Trällern hat nachgelassen. Es ist kühl geworden über Nacht. Ich feiere den neuen Tag auf der Terrasse des Hauses in diesem schönen Garten – Arme ausgebreitet, langsam nach oben bringen, bücken, bis die Hände den Boden berühren, spüren, wie da etwas nachlässt und es zulässt, dass ich noch ein wenig tiefer zum Mein Kolibri besucht mich auf meiner Veranda. Er kann fliegend an einer Stelle verweilen. Auf diese Weise sucht er die Ritzen an der Verbretterung ab – ich nehme an, nach etwas Fressbarem. In der Ferne rauscht das Meer. Eine Taube ruft, immer wieder die gleiche Strophe, immer wieder ganz aus der Tiefe die gleiche naive Wehmut. Eine Heuschrecke versucht, ihr Abendlied anzustimmen, verstummt aber bald wieder. Es ist wohl noch zu früh. Ein Baum auf der Weide blüht über und über rot. Es riecht nach frisch gemähtem Gras. Die Äste und Zweige finden, im Winde sich wiegend, ihr Gleichgewicht. Und ich sitze da. Ich bin Volontär auf Balenbouche. Die Arbeit muss ich mir selber suchen. Es gibt zwei lange Stiegen hinunter zum Mühlrad der aufgelassenen Zuckerfabrik. Die Stufen sind aus dickem Bambus gemacht. Das hält ein paar Jahre – und die sind jetzt gerade vorbei. Ich fälle ein paar lange Bambus-Stecken und mache daraus die neuen Stufen. 1 Gewaltige Wurzeln der riesigen Bäume 2 Farbenprächtige Blüten der Tropen 3 Kokosnussschlächterin von Vieux Fort 4 Was hülfe es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber die eigene Seele verlöre? 5 In der Salt Whistle Bucht auf Mayreau 6 Blick von Mayreau auf die Tobago Cays 4 34 OCEAN7 05-2013 | September/Oktober 2013
Volkmar Baurecker 5 Bambus ist ein Gras. Es wächst in Büscheln von ein, zwei Metern Durchmessern. Hoch werden die Halme hier, so zehn bis zwanzig Meter. Die dickeren Halme kommen auf acht bis zehn Zentimeter im Durchmesser. Wenn der Wind in die Bambus-Büscheln weht und die Stangen aneinander schlagen, dann gibt das laute Klänge. Die Idee, daraus Musikinstrumente zu bauen, ist nicht zu überhören. Joseph Haydn, die Weltumsegler und Pfingsten. Die Welt feiert heute Haydns 200. Todestag Und Pfingsten steht vor der Tür. Haydn hat fast die ganze Zeit seines Lebens abgeschieden von anderen Komponisten auf dem Landsitz der Esterhazys gelebt und komponiert. In meiner Abgeschiedenheit hier auf Balenbouche empfinde ich was Paralleles zu der von Haydn. Die Auswirkung der Abgeschiedenheit von anderen Komponisten und von den Strömungen der Musik beschrieb Josef Haydn mit dem bekannten Zitat: „Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden.“ Ich denke, das ist genau das, was auch Weltumsegler veranlasst, sich mehr oder weniger alleine aufs Boot zu begeben. Manche brauchen es einhand. Manche werden süchtig und finden nie mehr heim. Von anderen wird berichtet, dass sie sagen; „Gut, dass ich das gemacht habe. Jetzt weiß ich, dass ich das nicht mehr brauche“. Nach gut 14 Wochen wieder segelnd auf dem Boot! Herzlicher Abschied von meinen Freunden auf Balenbouche. Ich fliege nach Canouan, einer der mittelgroßen Inseln der Grenadinen. Der Staat, in dem ich mich nun befinde, heißt „St. Vincent und die Grenadinen“. Der größere Teil der Bürger sind auch hier die Nachkommen afrikanischer Sklaven. Georg wird mein Skipper in den nächsten zehn Tagen sein. In Niederösterreich betreibt er die CSI Yachtcharter (www.csi-yachtcharter. at). Hier in der Karibik macht er Urlaub mit Frau und zwei Kindern. Wir wollen gemeinsam nach Chaguaramas auf Trinidad segeln. Georg hatte mich gebeten, ihm hierher entgegen zu fliegen. Im Dinghi geht es raus zur Segelyacht Happy Hour, einer Beneteau 50. Am nächsten Morgen fahren wir unter Genua eine Stunde südostwärts zur Insel Mayreau. An ihrer Nordseite öffnet sich unseren Augen eine windgeschützte Bucht, die Salt Whistle Bay. Es ist eine Bucht wie im Bilderbuch: Palmen mit vom Wind zerzausten Wedelkopf und schrägem Stamm, dahinter wieder das Blau des Himmels und des Meeres, weißer Strand, ein paar Häuschen. Ich wandere zum Gipfel der Insel hinauf, an einem Friedhof vorbei. Nach links geht es zum höchsten Punkt. Hier habe ich einen malerischen Blick auf das Farbenspiel des Meeres vor den Korallenriffen bei den Tobago Cays. Nahe dem Gipfel steht ein Kirchlein. Ich nähere mich dem Zaun. Ein zwölfjähriges Mädchen hat mich entdeckt. Ob ich zur Kirche wolle, fragt sie mich einladend. Ich trete hinter den Zaun, auf die offene Kirchentür zu. „Jesus ist auferstanden“ – der positive Aspekt von Ostern, ist da zu lesen. Das Mädchen zeigt in die Ferne: „Links die Tobago Cays, dann Petit St. Vincent, Petit Martinique, dahinter Carriacou und rechts Union Island.“ Sagt’s und geht wieder Tempelhüpfen zu ihren Freundinnen. 6
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