50 Wir treiben durch verschlafene und scheinbar unberührte Landschaften Als wir der Wachstube, die auf Benzinfässern unweit des Ufers ihr lümmelndes Dasein fristet, näher kommen, werden wir grölend in Empfang genommen. Doch der starke Strom macht jeden Anlegeversuch zunichte. Da die Polizisten ganz offenbar um ihre Angelleinen und die mit Blaulicht bestückten Zillen fürchten, jagen sie uns lautstark und ohne Passkontrolle wieder weg. Sie fordern uns auf in Sichtweite zu bleiben, also lassen wir das Ersatzteil ins Wasser plumpsen und gehen auf Zug. Im Schein der Stirnlampen treiben wir wieder an den sichtlich amüsierten und definitiv alkoholisierten Exekutivbeamten vorbei, die Ankerleine schwimmt seitlich neben uns auf der Wasseroberfläche. Etwas Scharfes hat uns vom zweiten Anker getrennt und egal was es war, wir haben binnen einer halben Stunde merklich an Stehqualität eingebüßt. Wild fuchtelnd verabschieden wir uns von den Beamten und biegen übelgelaunt und ohne wirklichen Plan in den Hauptstrom ein. Sämtliche Lichter, die wir in der stockfinsteren Nacht erblicken, sind irgendwie unzuordenbar, und während wir überlegen, ob das, was wir gerade tun, sinnvoll ist, laufen wir mit Hasenspeed auf Grund. Andi knallt mit den Schienbeinen gegen die Traveller-Schiene, ich fädle bei den Wanten ein. Bei näherer Betrachtung ordnen wir die schemenhaften Umrisse einer Sandbank zu. Wir befestigten die Belegleine an einem Paddel, entern die Insel und graben beides einen halben Meter tief ein. Dann gehen wir schlafen, stehen zwei Stunden später und im Morgengrauen wieder auf, graben Paddel und Schnur wieder aus und machen uns vom Acker. Der Fruchtgenuss. Wir nutzen die Natur. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir wieder im Besitz eines Ankers und somit im Geschäft sind. Bleiben der Funk, der sich einfach nicht auftreiben lässt und noch knapp 400 Kilometer bis zum Schwarzen Meer. Wir treiben durch verschlafene, scheinbar unberührte Landschaften und an kleinen Ortschaften ganz ohne Schornsteine vorbei. Alles ist friedlich und eher auf Zeitlupe getrimmt, wir bleiben draußen und gehen nur an Land, wenn dieses etwas zu bieten hat oder wir etwas brauchen. Nach Giurgiu, wo wir unsere Grundnahrungsmittel aufstocken und gute Freunde treffen, tuckern wir unter der längsten Donaubrücke hindurch. Sie verbindet Rumänien mit Bulgarien, ist 224 Meter mächtig und geht rüber nach Ruse. Anschließend tauchen wir in die Dobrudscha ein, die nach dem Zerfall des osmanischen Reiches zwischen Bulgarien und Rumänien aufgeteilt wurde. Ihre mit Gras bewachsenen Sandhügel ziehen sich bis zum Schwarzen Meer und behindern die Donau auf ihrem Weg nach Osten. Der Fluss knickt nach Norden ab und fließt müde und träge in Richtung Galati, dem letzten Umschlagplatz vor dem Delta. 1991 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt, dehnt sich das Vogelparadies auf eine Fläche von 5.800 Quadratkilometern aus und beeindruckt mit einem scheinbar wirren Labyrinth aus Wasserläufen. An uns schwimmen Inseln, Sümpfe, Auwälder und Schilflandschaften vorbei und es scheint, als wäre die Zeit stehen geblieben. Weil die Donau mit ihren Wassermassen jährlich etwa 50 Millionen Tonnen Schlamm vor sich herschiebt, entstehen an den Mündungsarmen immer mehr Sandbänke und Dünungsgebiete. Würde der Schlamm nicht gelegentlich von starken Stürmen abgetragen werden, wäre das Schwarze Meer in 7.500 Jahren vom Delta bis zur Krim aufgeschwemmt. Die Gegenwart wirkt fantastisch. Die Menschen leben vom Fischfang und davon, sonnenverbrannte Touristen in der Schilflandschaft herumzuschippern. Die Artenvielfalt – das Delta beherbergt 200 Vogelkolonien mit 40.000 Brutpaaren – ist beeindruckend, neben Kormoranen, Pelikanen und Seeschwalben sind hier auch die farbenprächtigen Blauracken und Bienenfresser zu Hause. Mit offenen Mündern treiben wir durch die Naturkulisse und ergötzen uns an allem was fliegt, schwirrt oder quakt. Wir sind verhältnismäßig früh dran, die Nächte sind den Gelsen zu kalt, dafür regnet es wieder häufiger. Nach 72 Stunden im Grünen steuern wir auf Sulina zu, die Befahrung des Sfantu-Gheorghe-Armes wurde uns in Tulcea versagt. Warum ist schwer zu sagen, also stottern wir auf dem Schifffahrtskanal der Mündung entgegen. 1
People 51 2 Am späten Nachmittag sehen wir den Nuller. Wir stellen fest, dass wir genauso miserabel aussehen wie die Jakobs-Menschen nach ihrem Spaziergang nach Copostela und fühlen uns verdammt gut dabei. Eine lederne Gesichtshaut, die Hände in Falten gelegt, unrasiert und hygienisch generell am unteren Limit, werden wir Augenzeuge der königlichen Hochzeit von ihm und ihr. Wir glotzen nach 19 Tagen auf dem Strom wieder in eine Röhre und fragen uns zwei Stunden lang, wie der Bräutigam heißt. Dazu trinken wir ordentlich Bier und schließen Prinz Charles als Kandidaten aus. Am nächsten Morgen räumen wir die Mole mit unserem Bootsinhalt voll und rüsten auf See um. Das Mastaufstellen wird durch den Wellengang der vorbeiziehenden Frachter extrem mühsam, währenddessen wühlt halb Sulina in unseren Sachen. Nachdem das Rigg steht, erklären wir mit Händen und Füßen, dass dies kein Flohmarkt ist und wir unsere Sachen noch brauchen. Den Ersatzmotor verkaufen wir trotz Schadensmeldung, einen Tank und Zweitaktgemisch werden wir auch los. Wir checken beim Hafenkapitän aus, bekommen für morgen einen Wetterbericht versprochen und lassen den Abend locker angehen. Wenn es wahr ist, sind wir in 24 Stunden in Constanza, aber vorweggenommen, wir waren es nicht. Der erste Tag auf dem Schwarzen Meer machte uns unmissverständlich klar, wer die Hose an hat. Wir jedenfalls nicht. Alles begann mit einem falschen Wetterbericht und endete in einer schlaflosen Nacht inmitten den Brandungswellen. Fortsetzung folgt! 1 bewegung. Wo Kräne stehen, sind große Frachter nicht weit. 2 flohmarkt. In Sulina verkaufen wir, was wir nach der Flussfahrt nicht mehr brauchen. 3 gut geschützt. Die Verkehrswelle kann recht ungemütlich werden. 4 flieSSend wasser. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Der Mensch woanders. 3 4
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